Pieter Lakeman bewirkte ein Strafverfahren gegen den neuen UBS-Chef Ralph Hamers. Im Interview erklärt der Finanzaktivist, warum es nun bei der UBS auf die Frage ankommt: wer wusste was?
Niklaus Vontobel
23.01.2021, 05.00 Uhr
Pieter Lakeman hat sein Büro im niederländischen Pendlerdorf Bussum, nahe bei Amsterdam. Von dort trat der 78-jährige Finanzaktivist ein juristisches Verfahren los, das 600 Kilometer Luftlinie weit entfernt peinliche Folgen hat: am Zürcher Paradeplatz, im Verwaltungsrat der UBS, dem weltgrössten Vermögensverwalter. Lakeman hat die holländische Staatsanwaltschaft dazu gebracht, ein strafrechtliches Verfahren gegen den neuen UBS-CEO Ralph Hamers einzuleiten. Die Staatsanwaltschaft soll nochmals prüfen, ob Hamers keine Verantwortung trägt für den grössten Geldwäscherei-Skandal der niederländischen Geschichte. Von 2010 bis 2016 habe die Grossbank ING viel zu lasch kontrolliert, trotz Warnungen. Ab 2013 war Hamers dort CEO. 2018 wurde ING zu einer Busse von 775 Millionen Euro verurteilt.
Sie sind Finanzermittler und Berater. Sagen Sie uns, welchen Rat Sie den verschiedenen Akteuren geben würden, die nun vom Geldwäsche-Skandal bei der niederländischen Bank ING betroffen sind. Fangen wir beim Verwaltungsrat von ING an. Was hätte er tun müssen, um den Fall zu verhindern?
Pieter Lakeman: Er hätte die Abteilung für Geldwäschebekämpfung schon vor Jahren ausbauen sollen. Stattdessen hat Hamers, nachdem er 2013 CEO von ING geworden war, diese Abteilung 2014 so stark beschnitten, dass die Mitarbeiter sich beschwerten, die Abteilung könne ihre Arbeit nicht mehr machen.
Nun zur UBS. Hätte Ihrer Ansicht nach der Verwaltungsrat der UBS Herrn Hamers überhaupt anstellen sollen?
Der UBS-Verwaltungsrat hätte Hamers nicht einstellen dürfen. Es scheint mir sehr schlecht für den wirtschaftlichen Ruf der UBS zu sein, von einem CEO geführt zu werden, der jahrelang eine Bank geleitet hat, die Schwarz- und Kriminalgelder gewaschen hat, selbst wenn es kein Strafverfahren geben würde. Es scheint mir auch nicht förderlich zu sein für die Prozesschancen im Berufungsverfahren zu den französischen Steuerforderungen über 4,5 Milliarden Euro.
Kann man es dem UBS-Verwaltungsrat vorwerfen, dass er Hamers anstellte? Zum Zeitpunkt des Entscheids konnte er davon ausgehen, dass Hamers nicht juristisch vom ING-Geldwäschefall tangiert sein würde.
Mit dieser Haltung würde man zum Ausdruck bringen, dass man sich am Verbrechen an sich nicht stört, sondern nur die mögliche Strafe fürchtet. Das scheint mir nicht richtig. Und es ist nicht klar, wer welches Wissen hatte.
Erklären Sie uns dies.
Im September 2018 gab die niederländische Staatsanwaltschaft bekannt, dass ING sich der Wäsche von schwarzen und kriminellen Geldern zwischen 2010 und 2016 schuldig gemacht hat. Mitte 2019 wurde bekannt, dass das Berufungsgericht in Den Haag entschieden hat, dass «Sobi» ein Interesse an der von ihr im September 2018 beantragten Strafverfolgung von Hamers hat. Darauf bezog sich der erste Informationsfluss, der öffentlich war.
«Sobi» – das ist Ihre Stiftung für Unternehmensinformationen. Und was das Berufungsgericht damals entschied, bedeutete: Es würde die Frage nochmals neu anschauen, ob ein strafrechtliches Verfahren gegen Hamers angezeigt war.
Es muss noch einen zweiten Informationsfluss gegeben haben, der aber nicht öffentlich war. Hamers muss dem UBS-Verwaltungsrat Axel Weber Folgendes erzählt haben: Dass er in den Jahren von 2013 bis 2016 die Geldwäscheabteilung der ING stark beschnitten hat; von einem Vorstandskollegen vor einer persönlichen Strafverfolgung gewarnt wurde, wenn er nicht energischer gegen Geldwäsche vorgehe; dass ING von der niederländischen Aufsichtsbehörde und von der Europäischen Zentralbank (EZB) gewarnt wurde. Wenn Hamers diese Informationen nicht an Weber weitergegeben hat, sollte er meiner Meinung nach am Dienstag gefeuert werden.
Am Dienstag stellt die UBS ihre Jahreszahlen vor. Was, wenn Hamers diese Informationen sehr wohl an Weber weitergegeben hat?
Wenn Weber diese Informationen von Hamers erhalten hat, sie aber nicht mit der UBS-Spitze und der Finanzaufsichtsbehörde Finma geteilt hat, sollte meiner Meinung nach auch Weber zurücktreten. Wenn Weber diese Informationen doch der UBS-Spitze und der Finma mitgeteilt hat, sollten auch diese Gremien für die Genehmigung von Hamers Anstellung verantwortlich gemacht werden.
Damit haben Sie Möglichkeiten beschrieben, wer was zum Geldwäscherei-Fall an sich wusste. Daneben stellt sich die Frage, wer welches Wissen zu einer möglichen Strafverfolgung hatte.
Genau. Ein dritter Informationsfluss betrifft die Frage der Wahrscheinlichkeit, dass Hamers strafrechtlich verfolgt werden würde. Mit anderen Worten: Es handelt sich um eine Wahrscheinlichkeitsberechnung. Diese Chance wurde allgemein nicht als hoch eingeschätzt, aber sie war doch so hoch, dass eine viel beachtete niederländische TV-Sendung «1-Vandaag» ihr 2019 eine Sendung widmete. Vielleicht konnte Hamers Weber davon überzeugen, dass diese Chance extrem gering sei und damit auch das Risiko klein, dass er als UBS-Chef nicht würde richtig funktionieren können.
Was sollte der UBS-Verwaltungsrat tun, nachdem er nun Hamers bereits eingestellt hat?
Er sollte ihn entlassen. Wenn er es nicht tut, wird die UBS bald bekannt sein als Geldwäschereibank für kriminelles und schwarzes Geld. Das wird das Ende der UBS sein. Wenn Weber dem Verwaltungsrat falsche und/oder unvollständige Informationen weitergegeben hat, muss der Verwaltungsrat Weber auch entlassen, um die Glaubwürdigkeit und den Ruf der Bank zu retten.
Welche Lehren sollte die UBS aus dieser Geschichte ziehen?
Das hängt davon ab, wie der Informationsfluss verlief und auch von den Massnahmen der Finma. Meiner Meinung nach ist die erste Lektion, nicht an das Wort von Menschen mit hohem Ansehen zu glauben, sondern zu überprüfen. Die zweite Lektion ist: Wenn ein grosses Risiko scheinbar nur eine kleine Eintretenswahrscheinlichkeit hat, muss diesem dennoch Rechnung getragen werden.
Was muss Ihrer Meinung nach die Politik – in den Niederlanden oder der Schweiz – tun, damit Fälle wie jener von ING seltener werden? Braucht es neue Gesetze oder müssen sie besser durchgesetzt werden?
Bestehende Gesetze müssen effektiver durchgesetzt werden.
Im Fall von ING gibt es Hinweise, dass Hamers gewarnt wurde. Wenn sonst Geldwäscherei ans Licht kommt, kann die oberste Führung in der Regel sagen, sie hätte von nichts gewusst. Kann die Politik dagegen etwas tun?
Die Politik kann kaum etwas dagegen tun, denke ich. Die Behauptung von Spitzenleuten, sie hätten nichts gewusst, ist für sie naheliegend, aber meist unplausibel. Die Staatsanwaltschaft muss weiter kompetent und zielstrebig nach Beweisen suchen.
Dieses Interview wurde schriftlich geführt.
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